Im Gespräch mit Anysia Kym und Tony Seltzer

Kurz nach dem Release ihres gemeinsamen Mixtapes „Purity“ sprechen die beiden über ihren kreativen Prozess und das erfrischende 10k-Mindset in der heutigen Musikszene.

Musik
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Als Anysia Kym und Tony Seltzer am Hypebeast-Büro vorfuhren, war sofort klar, dass die beiden Künstler*innen echte Freund*innen sind und nicht nur unter dem Label „kreative Partner“ firmieren. Kym hatte früher selbst bei Hypebeast gearbeitet – die Rückkehr ins Office in Chinatown ist daher ein echter Full-Circle-Moment.

Inzwischen eines der Aushängeschilder des unabhängigen Labels und Verlags 10k, hat Kym sich in der New Yorker Musikszene ihre ganz eigene Schneise geschlagen, indem sie zahllose Genre-Einflüsse zu einem absolut fesselnden, sphärischen und komplett selbst produzierten Sound verschmilzt.

Auch 10k-Producer Seltzer ist auf seinen Genre-Streifzügen weit herumgekommen, und die beiden verband ihr gemeinsamer Background am Schlagzeug – etwas, das auf ihrem gemeinsamen Mixtape Purity.

Auf Purity, springen die beiden synchron durch verschiedenste Genres und erschaffen eine verführerisch abstrakte Klangkulisse. Normalerweise sitzt Kym am Produktionssteuer, doch auf Purity, konzentriert sie sich aufs Songwriting und überlässt die Produktion fast komplett Seltzer. „Afterparty“ ist der einzige Track, den sie gemeinsam produziert haben. Als sie sich – natürlich über 10k-Gründer MIKE – während der finalen Pinball-Sessions trafen, hatten Kym und Seltzer keinerlei Erwartungen.

„Wir hatten wirklich keinerlei Plan“, sagt Kym. „Tony hat erst beim dritten oder vierten Treffen überhaupt Beats ausgepackt.“

Mit einer Laufzeit von 17 Minuten auf 12 Songs war ihnen klar, dass sie ein kompaktes Projekt abliefern wollten; zunächst legten sie sich auf acht Tracks fest, dann auf zehn und schließlich auf zwölf.

„Es sollte sich nicht wie ein klassisches Album anfühlen. Es ist zwar eins, aber gleichzeitig auch ein Mixtape“, erklärt Kym. „Die Arbeitsweise war die eines Mixtapes.“

Diese rohe, ungefilterte und doch hochgradig durchdachte Kunstform passt perfekt zu den Künstler*innen aus Brooklyn, die immer wieder zu den echten, authentischen Verbindungen im Kern von 10k zurückkehren.

„Keinen interessiert, was die Industrie gerade treibt oder welche Politik dort gilt“, sagt Seltzer. „Wenn wir ins Studio gehen, versucht niemand, einen Hit zu landen. Niemand sucht nach Referenzen. Niemand denkt darüber nach, was gerade angesagt ist oder morgen angesagt sein wird [...] Alle machen einfach, worauf sie Lust haben – und das hört man.“

Kym und Seltzer setzten sich mit Hypebeast zusammen, um im Kontext des aktuellen Soundscapes mehr über ihr Mixtape und 10k insgesamt zu erzählen.


Gehen wir zurück an den Anfang: Wie habt ihr euch kennengelernt?

Anysia Kym: Ich wusste, dass MIKE an Pinball mit irgendeinem mysteriösen Typen namens Tony Seltzer arbeitete. [lacht] Ich kam zu einer der letzten Aufnahmesessions – ich überspringe hier definitiv ein paar Schritte –, aber da haben wir uns kennengelernt.

Tony Seltzer: Unser erster Kontakt war, als du den unveröffentlichten Pinball-Song auf deinem Handy abgespielt hast. Danach folgten wir einander auf Instagram, und als ich mir deine Musik angehört hatte, dachte ich: „Das ist heftig.“ Alles, was aus dem 10k-Kosmos oder via MIKE kommt, ist das natürlich. Wir haben weitergeschrieben, und irgendwann meinte ich: „Wir sollten Musik machen“, aber wir hatten nichts Konkretes im Kopf.

AK: Wir hatten keinerlei feste Pläne. Selbst als wir das erste Mal zusammen im Studio waren, wussten wir noch nicht so recht, welcher Vibe es werden würde. Ich sagte dir, dass ich mehr singen und schreiben will, und du hast mir ein paar Beats vorgespielt, aber wir merkten schnell, dass das nicht der richtige Vibe war.

TS: Wir haben ein paar Tracks gemacht, bei denen ich einen vorhandenen Beat spielte und Anysia darüber sang. Das war cool, aber der Flow stimmte noch nicht richtig.

„Die 10k-Family gehört zu den fleißigsten, experimentierfreudigsten und risikobereitesten Crews überhaupt [...] Wir sind alle völlig unterschiedliche Artists, aber unsere gemeinsame Leidenschaft verbindet uns. Die Kunst des Rap ist so wunderschön, und von solchen Wortakrobat*innen umgeben zu sein, ist unglaublich inspirierend.“ – Anysia Kym

Wann und wie habt ihr dann euren Flow gefunden?

AK: Das war, als du meintest: „Wollen wir etwas gemeinsam produzieren?“ und ich sagte: „Ich will schreiben.“

TS: Also fingen wir komplett bei Null an. Ich baute einen Beat von Grund auf, während Anysia im Raum war. Wir waren immer zusammen im selben Raum.

AK: Wir haben uns nie Dateien hin- und hergeschickt.

TS: Wir haben alles gemeinsam vor Ort gemacht. Das ist meine Philosophie bei allem.

AK: Genau. Ich habe nicht viele Kollabos gemacht, aber die wenigen sind komplett persönlich entstanden [...] Selbst nach dem ersten richtig guten Song, den Tony und ich machten, stand noch nicht fest: „Wir machen jetzt ein Projekt.“ Wir haben einfach weitergearbeitet, und so ab dem vierten oder fünften Track hatten wir den Flow gefunden.

Ihr habt also eine Menge Songs zusammen. Wie habt ihr entschieden, welche es auf die Tracklist schaffen?

AK: Das war gar nicht so schwer. Alle Songs waren so unterschiedlich, und von Anfang an war klar, dass das Projekt kurz werden soll. Ein 15- oder 17-Track-Projekt kam nicht infrage. Bei zwölf war Schluss.

TS: Zwischendurch waren es sogar nur acht.

Warum sollte es kurz sein?

AK: Wir wollten nicht, dass es sich wie ein traditionelles Album anfühlt. Es ist zwar eins, aber eben auch ein Mixtape. Der Prozess war wie bei einem Tape. Als wir bei zwölf Tracks angekommen waren, ging es nur noch um das Tempo und darum, die Hörer*innen mitzunehmen. Ich wollte, dass man es in Dauerschleife hören kann – am Ende angelangt, drückt man direkt wieder Play.

Wie unterschied sich die Entstehung von Purity davon, ein Album zu machen?

AK: Mein Soloalbum habe ich ehrlich gesagt genauso behandelt – wie ein Mixtape. Wenn ich an ein Album denke, denke ich an ein 45-Minuten-Projekt mit drei- bis vierminütigen Songs, bei dem man erwartet, dass die Leute sich hinsetzen und zuhören. Ich will einfach mein Ding machen und dann weiterziehen.

TS: Wir haben uns von Anfang an auf kurze Songs festgelegt. Ich liebe kurze Tracks. Wir haben in jedem Song etwas anderes ausprobiert, mussten aber sicherstellen, dass das Projekt trotzdem wie aus einem Guss klingt. Auch wenn wir durch die Genres springen, sorgt unsere Herangehensweise – der Sound von uns beiden zusammen – für den roten Faden.

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Was mögt ihr jeweils am meisten daran, mit dem*der anderen zu arbeiten?

AK: Tony ist musikalisch extrem offen – ich liebe, dass er ein kleiner Weirdo ist. Er hört einfach alles und kann in jedes Genre eintauchen. Großartig finde ich auch, dass er mit einer Künstlerin wie mir arbeitet, die produziert und schreibt, noch ganz am Anfang steht und er mir trotzdem auf Augenhöhe begegnet.

TS: Anysia ist ebenfalls offen, sodass ich verrückte Sachen ausprobieren kann, aber sie hat auch keine Angst, mir zu sagen, wenn ihr etwas nicht gefällt. Deshalb baue ich den Beat am liebsten, während sie daneben sitzt: Wenn ich etwas hinzufüge, das ihr nicht schmeckt, sagt sie es sofort. Das hilft enorm beim Feinschliff.

Wenn ihr einen Purity-Song wählen müsstet, der die Sprache eurer Zusammenarbeit am besten einfängt – welcher wäre das?

AK: Das ist echt schwierig – keine Ausrede, aber für mich eigentlich alle. Ich würde „Diamonds & Pearls“ oder „Afterparty“ sagen. „Afterparty“ haben wir zusammen produziert.

TS: Ich sage ebenfalls „Diamonds & Pearls“. „Automatic“ feiere ich aber auch total – nicht umsonst war es eine Single. Als Anysia die Harmonien darübergelegt hat, dachte ich nur: „Oh shit!“

AK: Wir sind an dem Abend einfach noch 20 Minuten im Studio geblieben und haben den Track in Dauerschleife gehört.

Habt ihr noch weitere Songs gemeinsam produziert?

TS: Nur „Afterparty“.

AK: Es war schön, mal nicht am Steuer zu sitzen. Ich konnte Tony einfach machen lassen. Ich habe schon Projekte komplett selbst produziert und gesungen, aber diesmal wollte ich wirklich meinen Songwriting-Muskel trainieren.

Welche Rolle spielt die 10k-Family für eure Karriere beziehungsweise eure Kunst?

AK: Die 10k-Family ist eine der härtesten, experimentierfreudigsten und risikofreudigsten Crews überhaupt. Vielleicht bin ich voreingenommen, aber es ist etwas Besonderes. 10k spielt das Long Game und bleibt sich treu. Wir probieren ständig Neues aus. Wir sind alle sehr unterschiedliche Artists, doch unsere gemeinsame Leidenschaft verbindet uns. Rap ist eine wunderschöne Kunstform, und von solchen Wortschmied*innen umgeben zu sein, ist wahnsinnig inspirierend.

TS: Im Kern von 10k stehen echte Liebe und echte Verbindungen. Keinen interessiert, was in der Industrie passiert oder welche Politik dort herrscht. Im Studio versucht niemand, einen Hit zu schreiben. Niemand sucht nach Referenzen. Niemand überlegt, was gerade heiß ist oder morgen heiß sein wird. Es geht darum, im Moment etwas zu erschaffen – ohne äußere Einflüsse. Das ist die Kunst von 10k. Es gibt keine Fragen wie „Werden die Leute das mögen?“ oder „Klingt das überhaupt gut?“ Jeder macht einfach, worauf er Lust hat – und genau das hört man.

Wie haltet ihr den Lärm von außen möglichst klein?

AK: Niontay sagt oft: „Niemand ist größer als das Programm. Aber das Programm ist groß.“ Was wir gerade haben – dieses Hier und Jetzt – kann man aus dem Gleichgewicht bringen, wenn man zu sehr darüber nachdenkt, wie alles in fünf Jahren aussieht. Von Menschen umgeben zu sein, denen man vertraut und die man liebt, hilft enorm. Ich bin dankbar für Kollabos, aber man sollte genau wählen, mit wem man arbeitet.

„Wir haben wirklich erst eine Freundschaft aufgebaut. Klingt kitschig, aber es ist bei allen in der 10k-Crew dasselbe: Erst die Beziehung, dann die Musik.“ – Tony Seltzer

Warum hast du dich vor diesem Hintergrund entschieden, mit Tony zu arbeiten?

AK: Schon beim ersten Treffen hatte ich nie das Gefühl, dass er irgendetwas aus dieser Freundschaft ziehen will. Ich konnte einfach die Haare runterlassen und mit ihm abhängen. [schaut zu Tony] Du hast erst beim dritten oder vierten Treffen Beats ausgepackt.

TS: Wir haben wirklich erst eine Freundschaft aufgebaut. Klingt kitschig, aber es ist bei allen in der 10k-Crew so: Erst die Beziehung, dann die Musik. Ich kenne MIKE seit zehn Jahren, bevor wir richtig losgelegt haben. Auf seinem ersten größeren Album hatte ich ein paar Beats. Sein Sound ist ganz anders als meiner, deshalb habe ich ihn nie gedrängt, Musik zu machen. Ob wir Musik machen oder nicht – unsere Freundschaft war immer solide, und wir haben uns immer unterstützt. Bei Pinball kamen wir dann zusammen, und es hat klick gemacht.

Und Tony, gleiche Frage an dich – warum wolltest du mit Anysia arbeiten?

TS: Einfach, weil ich ihre Musik gehört habe. Noch bevor wir uns getroffen haben, war mir klar, dass sie Bock auf Experimente hat. Produktionsmäßig probiert sie ständig Neues. [schaut zu Anysia] Dein Sound mixt Jungle mit – ich nenne es ungern – Lo-Fi-Elementen. Du hast einen großartigen, unverwechselbaren Sound, der ganz klar deiner ist, und du kannst damit richtig experimentieren.

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